Interview mit Stadtbaurätin Prof. Dr. (Univ. Florenz) Merk
Neuperlach ist aktuell ein Schwerpunkt in der Arbeit des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Warum benötigt der Stadtteil, einen Check-Up?
Neuperlach wurde als Entlastungsstadt in den 1960ern geplant, nach den Maximen der Stadt der Moderne. Alles hier ist gemäß den damaligen Leitbildern der Moderne errichtet: Groß dimensionierter Geschosswohnungsbau, groß dimensionierte Freiflächen, die Straßenzüge wurden getrennt vom Fußwegesystem angelegt. Gleichzeitig wurden aufgrund finanzieller Konkurrenzen zu anderen Großprojekten Münchens die kulturellen Einrichtungen nicht realisiert und fehlen bis heute. Nutzungsanforderungen der Bewohner*innen bezüglich öffentlicher Räume, Wohnumfeld, Klimaanpassung und Mobilität ändern sich ebenfalls permanent. Strukturwandel im Gewerbe und Einzelhandel betrifft Neuperlach ebenso: Also ja, auch ein vergleichsweise „junger“ Stadtteil wie Neuperlach benötigt ein Update.
Welche besonderen Instrumente der Stadtteilentwicklung werden hier eingesetzt?
Der Weg, um Neuperlach zukunftsfähig zu machen, ist formuliert: Die Stadt München kombiniert in Neuperlach das klassische Instrument der Stadtsanierung und Städtebauförderung mit dem Instrument des Handlungsraumkonzeptes. Von 2019 bis 2021 liefen detaillierte Voruntersuchungen sowohl für die Erstellung des Integrierten Stadtteilentwicklungskonzeptes (ISEK) Neuperlach als auch für die Erstellung des Integrierten Handlungsraumkonzeptes (IHRK) Neuperlach. Hierdurch konnten bereits Synergien genutzt werden, die großen Leitlinien bauen auf der Perspektive München auf. Die Bürgerschaft Neuperlachs wurde intensiv beteiligt, zahlreiche Maßnahmen wurden definiert, die den Stadtteil „fit für die Zukunft" machen sollen. Und erfreulicher Weise erhielt die Stadtentwicklung in Neuperlach im Mai 2022 durch das EU-Leuchtturmprojekt „Creating NEBourhoods Together” zusätzliche innovative und agile Ansätze, um das Quartier nachhaltig, schön und inklusiv zu gestalten. So können die verschiedenen Instrumente, die jeweils einen unterschiedlichen Fokus legen und verschiedene Themenfelder und Prozesse der Quartiersentwicklung bedienen, sinnvoll kombiniert werden.
Wie läuft die Stadtsanierung in Neuperlach ab?
2022 gab der Stadtrat den Startschuss für weitreichende Modernisierungen in den Sanierungsgebieten Neuperlach Nord (208 Hektar) und Neuperlach Zentrum (2,8 Hektar). Für die erste Phase der Sanierung (2022 bis 2026) stehen kommunale Mittel in Höhe von rund 10,8 Mio. Euro für Sanierungsprojekte zur Verfügung. Neben Investitionen in den Gebäudebestand, den öffentlichen Raum, Klimaanpassungsmaßnahmen, Wohnumfeldaufwertung und soziale Einrichtungen schafft die Stadtsanierung damit für den Stadtteil langfristige Infrastrukturen, von denen alle Akteur*innen profitieren. Das ISEK Neuperlach mit Sanierungsprojekten, Sanierungszielen und dem Rahmenplan Neuperlach ist die Roadmap für die Umsetzung der Sanierung vor Ort. Gleichzeitig mit der Stadtsanierung startete 2022 die Umsetzung des Handlungsraumkonzeptes in Neuperlach.
Was bedeutet Handlungsraum, wo ist er, wie funktioniert er?
Der Handlungsraum ist – anders als die Stadtsanierung – ein informelles Planungsinstrument. Die Handlungsräume sind als Schwerpunktgebiete der Stadtentwicklung die Teile der Stadt, die eine besonders große Entwicklungsdynamik aufweisen. Hier sollen mithilfe von integrierten Handlungsraumkonzepten (IHRK) alle Strategien sowie agierende Schlüsselakteur*innen aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Daher ist der Handlungsraum nicht klar abzugrenzen, sondern bildet auch Übergänge in andere Stadtviertel ab. Seit 2023 ist Neuperlach als Handlungsraum in Bearbeitung. Das bedeutet, dass konkrete Maßnahmen vor Ort umgesetzt werden und es die Rolle des Handlungsraummanagements gibt. Dieser ist ein direkter Ansprechpartner für die Akteur*innen vor Ort und den Bezirksausschuss; zudem stellt er ein Bindeglied in die Stadtverwaltung dar. Er soll den Überblick über alle Beteiligten und Prozesse bewahren und diese, wo nötig, so vernetzen, dass die erarbeiteten Strategien und Maßnahmen für ein zukunftsfähiges Neuperlach umgesetzt werden können.
Welche Projekte liegen im Handlungsraum? Welche Synergien gibt es hier mit NEBourhoods?
Im IHRK für Neuperlach sind viele tolle Maßnahmen angeführt, die in den nächsten Jahren durchgeführt werden sollen. Aktuell liegt der Fokus jedoch auf der Umsetzung des bereits erwähnten EU-Leuchtturmprojekts „Creating NEBourhoods Together“. Dieser Kunstname ergibt sich aus dem englischen Wort „neighbourhoods“ für Nachbarschaften und der Abkürzung „NEB“ für die EU-Initiative „Neues europäisches Bauhaus“, die das Projekt zum Großteil finanziert. „NEBourhoods“ hat eine Laufzeit von nur knapp 2,5 Jahren und zielt darauf ab, innovative Ideen der Stadtentwicklung und nachhaltige Prototypen in Neuperlach auszuprobieren. Dies geschieht in Teilprojekten, den sogenannten „NEB-Actions“, die unterschiedliche Themen von Mobilität über Biodiversität bis hin zu Energie und Wohnen oder Jugendpartizipation abdecken. Konkrete Ergebnisse sind in dieser Ausgabe auf Seite XY präsentiert. Die Teams von NEBourhoods und vom Handlungsraum Neuperlach arbeiten gerade daran, dass möglichst viele dieser Maßnahmen, die mittlerweile in Neuperlach zu sehen sind, auch noch nach der Projektlaufzeit erhalten bleiben und mit der Bürgerschaft weiterentwickelt werden können.
Welche Projekte können in den Sanierungsgebieten in Neuperlach gefördert werden? Wie läuft das ab?
Das Spektrum ist breit gefächert: Gefördert werden Sanierungsprojekte der Landeshauptstadt München, von Vereinen und privaten Maßnahmenträger*innen. Die Städtebauförderung refinanziert Vorplanungen, Machbarkeitsstudien, Vorbereitungen und Durchführung von Wettbewerben, die bauliche Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen, ebenso die Beteiligung der Akteur*innen vor Ort. Die Höhe der Förderung orientiert sich je nach Projekt am städtebaulichen Mehrwert für das Quartier. Aktuelle, große Projekte, die in der Zuständigkeit der jeweiligen Maßnahmenträger*innen aufgesetzt und durch die Städtebauförderung refinanziert werden, sind beispielsweise die Neuordnung des Lätare-Areals, die Aufwertung des Ostparks, und die Aktivierung am Hanns-Seidel-Platz.
Daneben gibt es auch die „Speed-Boats” der Stadtsanierung, die sogenannten „Verfügungsfondsprojekte”. Jährlich stehen dem Stadtteil 50.000 Euro zur Verfügung, um kleinteilige Projektideen aus dem Stadtteil in eine schnelle Umsetzung zu bringen. Die Projektgruppe Neuperlach, die sich aus Vertreter*innen lokaler Institutionen, engagierter Bürger*innen, Bezirksausschussmitgliedern und Vertreter*innen der Verwaltung zusammensetzt, stimmt über diese Projektanträge ab. Große Synergien zeichnen sich auch hier für einige Projekte aus „Creating NEBourhoods Together” ab, die aus dem Verfügungsfonds kofinanziert werden können. Damit dies vor Ort alles reibungslos funktioniert, übernimmt die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung Treuhänder- und Stadtteilmanagementaufgaben vor Ort: Die MGS bereitet die Umsetzung von Sanierungsprojekten mit privaten Wohnungsbaugesellschaften vor. Das Stadtteilmanagement verwaltet den Verfügungsfonds Neuperlach und übernimmt die Moderation der Projektgruppe. Darüber hinaus ist es Ansprechparter vor Ort für die Bevölkerung zu Themen rund um die Sanierung und Entwicklungen in Neuperlach. Seit 2022 ist das Stadtteilmanagement fest verankert im Quidde35 – Raum für Stadtsanierung.
Wie lange werden Handlungsraum und Stadtsanierung in Neuperlach wirken?
Die Laufzeit des Handlungsraumansatz als informelles Planungsinstrument ist per se nicht fixiert. Die Umsetzung in Neuperlach steht noch am Anfang, dem Stadtrat wird jedoch nach vier Jahren berichtet. Die Parallelität und Verknüpfung zum Instrument der Stadtsanierung ist jedoch von Beginn an vorgesehen. Die Dauer der Laufzeit der Sanierung ist auf circa 15 Jahre zunächst festgelegt. Da die Sanierung Neuperlachs in mehreren Phasen vorgesehen ist und auch zukünftig weitere Sanierungsgebiete festgesetzt werden sollen, wird die Stadtsanierung in Neuperlach voraussichtlich in einem Zeitraum von circa 25 Jahren vor Ort sein. Damit liefern wir langfristige Perspektiven und Strukturen für Neuperlach und seine Bewohner*innen.
Interview:
Susanne Grillmeier, Christoph Heidenhain – Referat für Stadtplanung und Bauordnung, LHM
muenchen.de/stadtsanierung
muenchen.de/handlungsraum
stadtsanierung-neuperlach.de/ziele
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Ausgabe #9 erscheint vsl. im Dezember 2024
Die Stadtteilzeitung Neuperlach informiert zweimal im Jahr über die Stadtteilsanierung Neuperlachs. Ziel der Stadtteilzeitung ist es, kommunales Handeln in der Stadtteilentwicklung zu erläutern. Berichtet wird über Themen, die den Sanierungszielen des integrierten Stadtteilentwicklungskonzepts Neuperlach dienen. Dabei stellen Projekträger*innen ihre Arbeiten aus erster Hand vor.
Die Stadtteilzeitung Neuperlach erscheint in einer Auflage von ca. 11.000 Stück, wird im Sanierungsgebiet Neuperlach Nord kostenfrei an alle Haushalte verteilt und liegt in Gemeinbedarfseinrichtungen in Neuperlach aus.
Die Stadtteilzeitung Neuperlach wird herausgegeben von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München. Die Redaktion übernimmt das MGS Stadtteilmanagement Neuperlach im Quidde35 – Raum für Stadtsanierung. Die Redaktion behält sich vor Beiträge zu kürzen oder abzulehnen. Es besteht kein Anspruch auf Publikation.